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20.01.2022Elke Jauk-Offner

KNALLENDEREN. Abgedunkelte Zimmer. Schule ist Scheiße. Familie auch. Aufräumen sowieso. Durchwachte Nächte. Verschlafene Tage. Regeln sind zum Brechen da. Erwachsene haben null Ahnung. Eltern sind total peinlich. In anderen Worten: Pubertät. „Für die Eltern ist das ähnlich wie beim Kinderkriegen“, konstatiert die Klinische und Gesundheitspsychologin Claudia Agatic, „man liest Bücher darüber, hat seine eigenen Vorstellungen, Visionen und Ideen – und wird dann kurzerhand eines Besseren belehrt“. Das bedeutet nicht, dass Fachlektüre keinen Sinn macht. Denn sie führt vor Augen: Vielen Eltern geht es ähnlich. Und den Jugendlichen auch. Wie Pubertät erlebt wird, bleibt freilich individuell. „Die Genetik und die Persönlichkeit spielen eine bedeutende Rolle“, sagt Agatic, die selbst eine 13-jährige Tochter und einen zehnjährigen Sohn hat. War man als Elternteil in dieser Lebensphase selbst relativ angepasst, muss das für den Nachwuchs keineswegs gelten. Sehr wohl kann es aber in grundsätzlich lebhaften Familien auch in turbulenten Zeiten heftiger zugehen.


WER BIST DU?


Pubertät, das ist Veränderung. Und immer auch ein Streben nach Autonomie. So anstrengend es für die Eltern sein kann, so wichtig ist das für die jungen Menschen. „Die Abnabelung zu akzeptieren ist ungemein wichtig. Passiert sie zu diesem Zeitpunkt nicht, kann sie später noch viel intensiver ausfallen. Kinder müssen Autonomie spüren und leben können.“ Die Expertin rät: Möglichst nehmen, wie es kommt. Jede Pubertät kann eine Krise mit sich bringen. Ja. „Krisen werden aber so oft negativ gesehen. Jede Krise hat jedoch einen Anfang und ein Ende. Man sollte sie als Chance für Neues, für Weiterentwicklung wahrnehmen und die Angst davor hinter sich lassen. Angst hemmt. Das Kind lernt in dieser Zeit mehr denn je, sich selbst zu spüren: Was bin ich, was kann ich, woher komme ich. Damit wird der Grundstein für intensive Beziehungen gelegt.“


 


KINDERSSEN AUTONOMIE SPÜREN UND LEBENNNEN. PASSIERT DIE AB­NABELUNG VON DEN ELTERN ZU DIESEM ZEITPUNKT NICHT, KANN SIE SPÄTER NOCH VIEL INTENSIVER AUSFALLEN


 


Während die Pubertät heute bei den Mädchen zwischen dem 9. und 11. Lebensjahr einsetzt, sind es bei den Buben häufig zwei Jahre später. Mit den körperlichen Veränderungen und hormonellen Prozessen, mit dem Auftreten sekundärer Geschlechtsmerkmale und der beginnenden Geschlechtsreife macht sich ein massiver Umbruch bemerkbar. Mit der wachsenden Bedeutung der Peer Group, zu der man sich zugehörig fühlen will, werden die Vergleiche mit Gleichaltrigen stärker. Botschaften in Werbung und Medien können Jugendliche zusätzlich unter Druck setzen. Rebellion gegen die Eltern, aber nicht nur gegen sie, wird geprobt. Teils heftige Stimmungsschwankungen sind an der Tagesordnung, „sie sind bedingt durch die körperlichen Veränderungsprozesse und können nicht bewusst gesteuert werden“, betont Agatic. Wie die elterliche Reaktion da ausfallen sollte? „Natürlich ist es da nicht einfach, ausgeglichen zu bleiben“, sagt die Psychologin und rät zur Authentizität: „Wenn es mir selbst zu viel wird, dann darf ich das auch als Elternteil ausdrücken. Man muss einander nichts vorspielen.“


 

DRUCK ERZEUGT GEGENDRUCK


Was sexuelle Aufklärung betrifft, haben Eltern heutzutage nicht unbedingt mehr eine tragende Rolle. Viele Jugendliche wissen längst Bescheid, nicht zuletzt Schule und Aufklärungsworkshops tragen dazu bei. Aber die Vertrauensbeziehung zu den Eltern bleibt wesentlich. „Man sollte Präsenz zeigen: Ich bin für dich da, wenn du mich brauchst –  egal zu welchem Thema. Das bedeutet aber nicht, dass man sich permanent aufdrängen sollte. Übt man Druck aus, erzeugt das zumeist Gegendruck“, betont Agatic. 


Gerade der Umgang mit Nähe ist ein Lernprozess für beide Seiten. „Wenn das Kind plötzlich keine Nähe mehr will und Sätze wie ,Ich hasse dich. Geh weg!’ sagt, kann das sehr weh tun. Man sollte es aber möglichst nicht persönlich nehmen.“ Sie sind ein Ausdruck dessen, dass der Nachwuchs selbst bestimmen will, wann etwas getan wird und wann nicht. Agatic macht zudem deutlich: „Keine Nähe zu wollen, ist etwas anderes als Ablehnung.“ Person und Verhalten daher möglichst getrennt sehen. Es ist vielleicht ein geringer Trost, aber zuhause können Kinder sich ausleben und am ehrlichsten agieren, denn sie haben die Sicherheit, trotzdem geliebt zu werden.“


Regeln einfordern? Ja. Dort, wo sie essenziell sind. Etwa auch bei nächtlichem Handykonsum. Wenn aber das Kind nach der Schule nachhause kommt, wortlos im Zimmer verschwindet und weder Lust auf Kommunikation noch auf dringend notwendiges Aufräumen hat, sollte man das akzeptieren. „Lieber das Augenmerk auf das Funktionierende lenken, beispielsweise, ob das Lernen für die Schule selbstständig erledigt wird. Dann darf auch einmal Chaos herrschen.“ 


 


ACHTUNG, ESKALATION


Freilich, vor Eskalation ist niemand gefeit. Sich kurzfristig gegenseitig anzuschreien, sei zwar kein Drama, „es kann aber auch nicht die Lösung sein“, so Agatic. Wenn sich die Situation massiv zuspitzt, einen gedanklichen und tatsächlichen Schritt zur Seite gehen: das Zimmer wechseln, innerlich bis zehn zählen, ein Fenster öffnen – „jedenfalls bewusst eine andere Handlung setzen und zu einem anderen Zeitpunk in Ruhe noch einmal darüber sprechen. Das kann auch der nächste Tag sein. Es ist die bessere Lösung, bevor man etwas sagt, das einem später leid tut und das man nicht mehr vergessen machen kann.“ Auch bei der Nachbesprechung gilt: Worte wie „immer“ vermeiden, zu klären versuchen, warum eine Situation so eskaliert ist, Ich-Botschaften statt Du-Botschaften aussenden. Und: Die Sicht des Kindes anhören. Sanktionen? „Eine Sanktion ist nur ein anderes Wort für eine Bestrafung. Falls eine gesetzt wird, muss sie unbedingt verhältnismäßig sein und sollte nicht über einen langen Zeitraum gelten. Wichtiger für die Jugendlichen ist die Möglichkeit, eine Chance zu bekommen, es besser zu machen.“ Gibt es Arbeitsaufträge, Aufräumen beispielsweise, sollten diese nicht zu kurzfristig angesetzt sein, „steht dem Jugendlichen eine Zeitspanne zur Verfügung, kann er es sich selbst einteilen und damit autonomer agieren.“


Ein wöchentlicher Familienrat in entspannter Atmosphäre kann allen helfen: Jeder berichtet in diesem Rahmen, wie man die Woche erlebt hat, worüber man sich gefreut und geärgert hat, was gut gelaufen ist und was nicht – familienintern und darüber hinaus. Im Alltag kommt die Kommunikation oft zu kurz, daher sollte man sich die Zeit dafür nehmen, gerade auch in stressigen Phasen. Regeln dürfen durchaus als Schriftstück aufgesetzt, ja sogar unterschrieben werden. Dabei gilt: aufeinander zugehen. Festgelegt werden kann auch der Kommunikationsstil, etwa, dass Schimpfwörter nicht erwünscht sind. Auf vorher fix Ausgehandeltes kann man zudem anders reagieren, wenn es nicht eingehalten wird. Emotionen dürfen sein: „Ich bin enttäuscht, wir hatten das miteinander vereinbart.“


 

CKZUG STATT REBELLION


Pubertät ist oft Rebellion. Aber nicht nur. Manche jungen Menschen sind in dieser Zeit eher in sich gekehrt, unsicher, ängstlich. „Diese Kinder sind oft sehr angepasst und fallen dann gar nicht auf“, so Agatic. Das ist nicht notwendigerweise ein Grund zur Sorge, „man sollte als Elternteil aber aufmerksam bleiben. Wie gestalten sich soziale Kontakte? Machen sich Schlafstörungen bemerkbar? Könnte Mobbing im Raum stehen?“ Bei Unsicherheiten sollte man daher durchaus den Klassenlehrer, aber auch Betreuer im Sportverein ansprechen, „Schul- und Freizeitverhalten können sehr unterschiedlich sein“. 


Interesse für die Freunde der eigenen Kinder ist nie verkehrt. So kann man besser vermeiden, vorschnelle ferndiagnostische Urteile zu fällen. „Man sollte nie unterschätzen, wie wichtig die Peergroup für Jugendliche ist. Die Coronavirus-Pandemie hat die Situation noch deutlich erschwert. Schlaf- und Essstörungen, depressive Verstimmungen und selbstverletzendes Verhalten wie Ritzen haben zugenommen. Psychologische Hilfe und Unterstützung sollte kein Tabu sein. „Lieber einmal zu oft nachfragen als einmal zu wenig“, redet Agatic allen Mamas und Papas ins Gewissen, „man muss als Elternteil nicht alles alleine schaffen. Professionisten können da wirklich viel bewirken.“ Und wer gerade wieder einmal das gesamte Familiensystem einbrechen sieht, weil der oder die Pubertierende sämtliche Grenzen überschreitet, der sei daran erinnert, dass wir Kinder heute von klein auf in ihrem selbstständigen Handeln und Denken ermutigen und bestärken: „Wir wünschen uns ja keine Duckmäuser, sondern Erwachsene, die selbstbewusst ihren Weg gehen. “                         

Elke Jauk-Offner
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