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04.05.2023Elke Jauk-Offner

Im vierten, fünften und sechsten Lebensjahr warten auf Kinder viele neue Herausforderungen – vom Kindergartenbesuch bis zum ersten Schultag. „Ohne Übertreibung sind es Meilensteine, die Kinder in diesem Alter prägen. Sie erwerben weitere große Stücke innerer und äußerer Selbstständigkeit“, sagt Entwicklungspsychologin Luise Hollerer. Entwicklungsstationen sollen aber immer nur in ihrer Gesamtheit und nicht als einzelne Bausteine beurteilt werden. Viele Kinder haben in diesem Alter bereits Erfahrungen mit dem Leben und Lernen in Gruppen gemacht, dennoch tut sich mit dem Eintritt in den Kindergarten wieder eine neue Welt auf. Die Gruppengröße wächst, Bezugspädagogen wechseln, Erkundungsräume weiten sich aus, Regeln müssen neu definiert oder ausgehandelt werden, die Rücksichtnahme auf andere wird zunehmend eingefordert, neue Bildungswelten tun sich auf. 


LOSLASSENNNEN 


Der neue Lebensabschnitt ist nicht immer einfach. Er kann für manche Kinder auch eine Krise bedeuten und mit einem vorübergehenden Rückschritt in der Entwicklung einhergehen. Viele Eltern gehen davon aus, dass Übergänge wie jener in den Kindergarten relativ rasch gelingen, vor allem wenn vorab schon Erfahrungen in der Gruppe gemacht wurden. 


Aber alles braucht seine Zeit, auch die Eingewöhnung. „Es ist wichtig, dem Kind zu zeigen, dass es den Pädagoginnen und Pädagogen vertrauen kann. Auch als Elternteil braucht es jetzt einen Entwicklungsschritt: Es gilt, das Kind loszulassen“, betont die Expertin, „dabei entsteht vielleicht das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden. Man darf aber ruhig auf die Fähigkeiten des Kindes vertrauen, neue Freunde zu finden und die gestellten Aufgaben erfolgreich zu meistern.“ 


In diesem Alter wird auch das Sprachhandeln vertieft und ausdifferenziert. Eine gute Sprachperformanz steht in direktem Zusammenhang mit einem höheren Bildungsabschluss, so Hollerer. Die elterliche Begleitung ist wertvoll, damit etwa das Beschreiben von Tagesabläufen sowie der dinglichen und personalen Umgebung immer besser gelingt. Gemeinsam sollten auch Alltagsphänomene wie ein Regenbogen und Jahreszeitenspezifika oder das Verhalten im Straßenverkehr thematisiert werden. Es geht um ein Erkunden und Erforschen, um das gemeinsame Finden von Antworten auf viele Fragen. 

BASALE FERTIGKEITEN 


Die basalen Fertigkeiten und Fähigkeiten – Voraussetzungen, die ein Kind später für ein weiterführendes schulisches Lernen mitbringen sollte – werden vor allem durch den Zugewinn an sprachlichen Möglichkeiten erweitert. Das Kind nutzt die Umgebung dann immer selbstständiger, wendet das Erlernte auf neue Situationen an und vergrößert damit sein Handlungsrepertoire. „Auf diese Weise wird es gut auf nächste Anforderungen vorbereitet“, betont Hollerer. 


Genauso wichtig sind Fixpunkte das Alltagslebens: sich selbst an- und ausziehen, allein auf die Toilette gehen, die Jacke eigenhändig auf- und zuknöpfen, sich an der Vorbereitung des Abendessens daheim beteiligen, „das sind Dinge, die man dem Kind zutrauen und zumuten sollte“. Eine große Entwicklungsaufgabe ist zudem die sozial angemessene Regulation von Emotionen. Es gilt heftige Reaktionen bei Wut und Ärger, Ängsten und Sorgen selbst stoppen zu können und wieder Balance zu finden. „Auch da braucht es eine gute Begleitung durch Pädagogen und Eltern.“ 


VORFREUDE UND UNSICHERHEIT 


Gemischte Gefühle gehören auch zum Abenteuer Schulanfang. Dem Nachwuchs vom eigenen Schulstart zu erzählen, Tage der offenen Tür und Schnupperstunden zu nutzen – all das kann hilfreich sein. Oft ist es ein kunterbunter Mix aus Neugier, Vorfreude und Stolz, die sich mit Traurigkeit, Angst und Unsicherheit mischen. Gleichzeitig entspricht der Schuleintritt im Alter von sechs bis sieben Jahren dem kindlichen Bedürfnis, Kulturtechniken wie schreiben, lesen und rechnen zu erlernen. Die Entwicklungsunterschiede unter den Kindern – motorisch, sozial-emotional, kognitiv und sprachlich – können dennoch noch groß sein. Ein regelmäßiger Kontakt und Austausch mit dem Lehrpersonal ist für Eltern daher wichtig und wertvoll. 


Mit den Wochen werden Lehrpersonen dann schnell zu echten Autoritätspersonen, die in der kindlichen Wahrnehmung alles können und alles wissen. „Als Elternteil kann man da leicht eifersüchtig werden“, so Hollerer, „man sollte sich mit dem Kind aber darüber freuen, was es Neues erlebt. Man lässt sich am besten erzählen, was wer wie macht. Das ist eine gute Möglichkeit, zu erfahren, wie das Kind die neuen Herausforderungen bewältigt und wen es gerade als Vorbild hat.“ 

GLICHE RITUALE 


Selbstständig zu arbeiten und Schulaufgaben zu erledigen, Schulmaterialien einzuräumen, gemeinsam mit anderen Kindern den Schulweg zu bewältigen – die neue Selbstständigkeit sollten Eltern nicht nur zulassen und sie fördern, sondern diese Entwicklungsschritte auch durchwegs positiv sehen. Immer wichtiger wird die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, das nimmt in Richtung Pubertät weiter zu. Umsorgt zu werden bleibt aber ein wichtiges emotionales kindliches Bedürfnis. Hollerer: „Tägliche Rituale wie das gemeinsame Essen sind wichtige Formen der Zuwendung. Das Kind ist nicht mehr auf die ständige unmittelbare Nähe vertrauter Erwachsener angewiesen. Es braucht aber die Gewissheit, dass es jederzeit Zuwendung und Schutz von einer Bezugsperson erhalten kann.“ 

Elke Jauk-Offner
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